"Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Zukunft klaut"
von Roderick Schön-Szavai
Es ist ein Mittwoch im Mai vor dem Sozialministerium kurz vor Beginn des Ministerrats, als es zu einer lautstarken Kundgebung kam. Die Regierung kürzt den Lehrlingen über 18 in überbetrieblichen Ausbildungsstätten (ÜBA) ab September die Ausbildungsbeihilfe (DLU) auf 325,– Euro. Das schmeckt den Betroffenen und der Vertretung ganz und gar nicht. Was Carina Köpf, ehemalige Jugendvertrauensrätin (JVR), davon hält, schmetterte sie ins Mikrofon: „Am Werk sind Lehrlingsverräter. Den Lehrlingen in den ÜBAs nehmen sie Geld weg, und mit der geplanten Abschaffung des Jugendvertrauensrats nehmen sie allen Lehrlingen auch noch ihre Stimme im Betrieb. Das schafft keinen einzigen der dringend benötigten Lehrplätze!“
Kampf ums ÜBA-leben.
Das will die Regierung auch nicht. Sie stürzt sich auf den vermeintlich schwächsten Gegner, um ihre Politik zu untermauern. „Das zeigt die rechtspolitische Einstellung der Regierung. Die Kürzungen in den ÜBAs und die Abschaffung des JVR treffen vor allem Jugendliche mit Migrationshintergrund. Wir stehen hier, um Kontra zu geben“, erklärt Norbert Buchegger, Betriebsratsvorsitzender bei Jugend am Werk. Aber es geht um mehr.
Angriff auf die Mitsprache.
In der FPÖ-nahen Zeitung „Zur Zeit“ wurde Betriebsräten vorgeworfen, den Tatbestand einer parasitären Existenz zu erfüllen. 2009 forderte der Ring Freiheitlicher Jugend in einer Resolution, dass sich Betriebe der Sozialpartnerschaft und lästigen Regulierungen wie dem Arbeitszeitgesetz entledigen können. Solche schäbigen Angriffe auf gewerkschaftliche Errungenschaften sind von der FPÖ alltäglich, und die ÖVP macht mit. Neben der Sozialversicherung und den Arbeiterkammern wird nun auch der JVR ins Fadenkreuz genommen.
Umfärbung?
Es ist also kein Wunder, wenn der 18-jährige JVR Gabriel Klein meint: „Ohne JVR sieht es schlecht aus. Ein JVR wirkt halt und ist ein Zeichen der lebendigen Mitbestimmung.“ Denn Wählen ist wie Zähneputzen: Wenn man es nicht darf oder macht, wird’s braun. „Ein JVR ist ein Zeichen der Solidarität, und mit Solidarität kommt man immer weiter“, ergänzt er seinen Standpunkt.
Hoch die Solidarität!
Auf die Unterstützung des Betriebsrats kann Gabriel bauen, wie Norbert Buchegger bestätigt: „Wir unterstützen unseren JVR gerne und geben auch Rückendeckung. Er vertritt ausschließlich die Interessen der Jugendlichen und ist
ein notwendiges Glied in der Kommunikation zwischen Geschäftsleitung, Betriebsrat und Lehrlingen.“
Aktion M, M wie Mitbestimmung.
Die Mitbestimmung für Jugendliche im Betrieb musste hart erkämpft werden. Das Jugendvertrauensräte-Gesetz wurde dank der Unterstützung von 51.243 gesammelten Unterschriften 1972 beschlossen. Früher bestand nur die Möglichkeit, Jugend-Vertrauenspersonen zu wählen. Erst seit Juli 2010 können auch in ÜBAs so etwas wie Jugendvertrauensräte gewählt werden.
Wir wissen, was wir tun!
„Ich übernehme gerne diese Verantwortung. In der Rolle des Problemlösers fühle ich mich wohl“, meint Daniel Skala. Er ist Jugendvertrauensrat bei Weidinger und Partner. An seinem Standort werden 150 Lehrlinge ausgebildet. „Der JVR gibt der Chefin Feedback betreffend Verbesserungen. Gibt es Probleme mit dem Lernen des Stoffs, treffen wir mit der Chefin Abmachungen, um das auszugleichen“, erklärt er Teile seiner Tätigkeiten selbstbewusst.
Gabriel schätzt das ähnlich ein:
„Wer soll sonst wissen, was die Lehrlinge wirklich benötigen?“ Seine Kollegin im JVR, Birsen Peker, 21 Jahre alt, ergänzt: „Wir helfen bei allen Problemen. Dabei ist es egal, ob das private Probleme der Lehrlinge sind oder Fälle wie schlechte Tools in der Werkstatt.“
Friede!
Auch die Konfliktlösung ist eine wichtige Aufgabe, die erfüllt wird. Dazu Birsen: „Es gibt zwar eine Sozialberatung, aber der JVR ist für die meisten Lehrlinge dennoch die erste Anlaufstelle.“ Daniel sieht den Zusammenhalt bei der Abschaffung von Jugendvertrauensräten gefährdet: „Dadurch werden Probleme und Konflikte nur aufgeschoben. Die gute Kooperation und der Austausch zwischen den Lehrlingen, dem Betriebsrat und der Geschäftsleitung stehen auf dem Spiel.“
Wahlalter senken?
Ja, aber richtig! Geht es nach der Regierung, soll der Betriebsrat die Aufgaben des JVR übernehmen. Dafür soll das Wahlalter für die Betriebsratswahl auf 16 Jahre gesenkt werden. Dass dafür aber der Jugendvertrauensrat abgeschafft werden soll, ist eine demokratische Katastrophe.
Betriebsratswahlen finden nur alle fünf Jahre statt.
Da eine Lehre höchstens vier Jahre dauert, werden viele Lehrlinge von der Wahl faktisch ausgeschlossen (siehe Grafik S. 6). Und jugendliche Lehrlinge unter 16 Jahren dürfen überhaupt nicht wählen. JVR-Wahlen finden jedoch alle zwei Jahre statt, was Norbert Buchegger verteidigt: „Gerade bei uns ist das wichtig, da die Vermittlungsrate von Jugendlichen sehr hoch ist.“
Demokratie-Werkstatt.
Meist sind JVR-Wahlen der erste Kontakt mit gelebter Demokratie, was Norbert Buchegger bestätigt: „Der JVR macht Demokratie populär! Die Wahlen wecken Interesse an allen damit verbundenen Abläufen.“ Daniel ergänzt diesen Standpunkt: „Der JVR wird sehr gut angenommen. Für jeden Lehrberuf und an jedem Standort gibt es eigene Ansprechpartner.“
Nur wer Praxis und Erfahrung mit Demokratie und Mitbestimmung hat, schätzt unser politisches System – unabhängig von der Herkunft. Nur das hilft gegen Extremismus. Darum wünscht sich Norbert Buchegger einen Ausbau der Mitbestimmung: „Alles was die Demokratie stärkt, ist zu begrüßen. Je besser und ausgebauter die demokratischen Strukturen sind, desto besser ist das System in dem wir leben.“
Immer vorwärts!
Derzeit ist davon nichts zu spüren, wie Carina Köpf treffend bemerkt: „Der Titel Sozialministerin ist ein Wortwitz, da alle bisherigen Vorschläge das Gegenteil von sozial sind!“ Aber der Widerstand wächst weiter. „Jetzt ziehen wir weiter zum Austria Center. Dort ist eine Konferenz des Bundesvorstands des Gewerkschaftsbunds“, gab Mario Drapela das nächste Ziel des Protests an. „Wir geben auch dort den Jugendlichen eine starke Stimme und werden bei den Erwachsenen Druck machen!“
Eine Gewissheit bleibt:
Kein Fußbreit wird dieser Regierung kampflos überlassen. Selbst wenn der JVR abgeschafft wird, die Jugendlichen bleiben und werden sich organisieren. „Das Vertrauen, das mir durch die Wahl entgegengebracht wird, ist schon cool“, sagt Gabriel über das Gefühl, sich für andere einzusetzen.P
Nun bist aber du an der Reihe. Unterstütze deinen JVR mit einer Unterschrift der Petition auf: www.jvrbleibt.at
Was hältst du von Mitbestimmung in der Arbeit?
Tino, 18, Schüler:
Junge Leute haben auch etwas zu sagen. Und zumindest in einigen Bereichen sollen wir auch in der Arbeit etwas mitbestimmen können.
Marina, 25, Industriekauffrau:
Ich finde es schon gut, dass es einen Jugendvertrauensrat gibt. In einer Firma habe ich schon selber gute Erfahrungen damit gemacht.
Rebecca, 22, Sozialberaterin:
Wenn sie den Jugendvertrauensrat abschaffen, dann tut das mir auch nicht weh. Viele sind noch zu jung und haben wenig Ahnung wie Dinge funktionieren.
Alex, 27, 3D-Grafiker:
Wenn viele Jugendliche in einem Betrieb arbeiten, finde ich es schon richtig, dass sich Lehrlinge selbst vertreten. Ich weiß aber nicht, ob das in kleineren Betrieben sinnvoll ist.
Shanin, 20, Medizinstudentin:
Ich bin eher dafür, dass sich die Jugendlichen weiter selber vertreten, auch wenn sie nicht so viel Erfahrung haben. Ein junger Jugendvertrauensrat bekommt auch eher mit, was Jugendliche denken. Den Älteren ist das oft fremd.
(CR)
Freiwillig, aber sicher!
Still und leise will die Bundesregierung eine Arbeitszeitflexibilisierung durchs Parlament peitschen – natürlich ohne genug Zeit zu geben, damit Gewerkschaften die Möglichkeit haben, den Gesetzesentwurf ausführlich zu analysieren. Da stellt sich die Frage warum? Hat die Regierung Angst vor Gegenwind?
Vermutlich! Denn was hier unter dem Stichwort „Arbeitszeitflexibilisierung“ vorgelegt wird, bringt für viele ArbeitnehmerInnen die 60-Stunden-Woche als Normalfall und Abhängigkeit von den Befehlen des Arbeitgebers. Nur die zynischsten unter den Wirtschaftsvertretern können da von einem Freudentag für ArbeitnehmerInnen sprechen. Dass der Gesetzesentwurf auf einem Papier, auf das sich die Sozialpartner geeinigt hätten, beruht, ist falsch.
Die Gewerkschaft hat dem Papier voriges Jahr eben nicht zugestimmt, weil es für ArbeitnehmerInnen viele Nachteile enthielt. In Zukunft soll trotzdem bis zu 12 Stunden gearbeitet werden dürfen – freiwillig natürlich. Davon kann aber nicht die Rede sein, wenn ich begründen muss, warum ich Überstunden ablehne, und warum meine Interessen über denen des Arbeitgebers stehen. Da werden ArbeitnehmerInnen den Kürzeren ziehen.
Den Kürzeren ziehen sie auch, wenn sie aufgebaute Überstunden als Freizeit konsumieren wollen – denn ArbeitnehmerInnen können nicht selbst entscheiden, der Arbeitgeber muss zustimmen. Überstundenzuschläge sollten erhalten bleiben, beteuerte die Regierung.
Fail! Wer Gleitzeit hat, fällt künftig um die Überstundenzuschläge für die 11. und 12. Stunde um. Noch Fragen?
Die Kamikatze